Stromnetze: Rechtsunsicherheit und finanzielle Risiken – Unkritische Überrnahme der Beschlußvorlage
von Sigrid Griesel
Aurich (gfa) – Die Stadt Aurich will die Stromversorgung der Bürger künftig unter kommunaler Regie stellen. Als Partner dafür ist der Windnergie-Anlagen-Hersteller Enercon gedacht, der sich mit 40 Prozent an den Auricher Stadtwerken beteiligen will. Die Übernahme der Netze ist im Gespräch, weil die Konzession für den bisherigen Versorger EWE ausläuft. Dieser hatte bereits rechtliche Bedenken am Vergabeverfahren angemeldet. Eine Neuausschreibung scheint derzeit die juristisch sauberste Lösung zu sein.
Davon unabhängig hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die möglichen Gewinne der Stadt nicht so üppig ausfallen werden, wie vor zwei Jahren angenommen, als man im Rat der Stadt Aurich für diese Übernahme plädierte. Stadtwerke in anderen Regionen, verzeichneten sogar erhebliche Defizite. Gleiches zeigte sich auch in direkter Nachbarschaft bei den Stadtwerken Norden.
In einr engagierten Rede begründete die GfA-Fraktionsvorsitzende im Auricher Stadtrat, Sigrid Griesel, warum die GfA einer Netzübernahme durch Enercon und die Stadt Aurich ablehnen gegenübersteht.
Im Wortlaut
Erklärung der GFA-Fraktion in der Ratssitzung am 03. April 2014 zur Thematik „Stadtwerke – Vertragswerk mit Enercon“ – DS 14/037“
(es gilt das gesprochene Wort)
Als ich die Einladung und die Unterlagen zu der heutigen Sitzung erhielt, habe ich mich aus vielerlei Gründen doch sehr gewundert.
Denn eigentlich hatte ich erwartet, dass wir die heutige Sitzung mit einem Gottesdienst beginnen. Angesichts der heute zu beschließenden Unterlagen könnten wir göttlichen Beistand dringend gebrauchen. Einerseits, damit die Mehrheit des Rates und auch die Verwaltungsführung endlich den Boden der Realität wieder finden und andererseits, damit wir alle hätten gemeinsam beten können, dass wenigstens die heutigen Beschlüsse nicht zu allem Überfluss auch noch in einem vermeidbaren und durchaus teurem Rechtsstreit enden.
Denn in der Tat haben wir die Haushaltsberatungen ja nicht gestoppt, weil die finanzielle Situation der Stadt „einfach“ ist. Wenn ich einen Vergleich bemühen sollte, würde ich meinen, wir stehen, ähnlich einem Lottogewinner, der die Bodenhaftung verloren und einige wenige Jahre in völligem Überfluss gelebt hat und anschließend auf der Straße steht, vor einem Scherbenhaufen der Finanzpolitik .
Aber genau das verdrängt die Mehrheit des Rates noch immer und hofft insgeheim auf ein „Wunder“. Und solange dieses „Wunder“ nicht geschieht, heißt das Motto der Verwaltung und der Ratsmehrheit: „Augen zu und durch!“
Und so kann man das auch heute wieder beobachten:
Ohne das Ergebnis des Haushaltes 2014 genau zu kennen und insbesondere zu wissen, ob nach einem erwirtschafteten Überschuss von 70 Mio. € nun wieder erhebliche Kreditaufnahmen notwendig sind – und meine Damen und Herren, wir sprechen hier immerhin von rd. 30 Mio. € , werden heute wieder kostenintensive Beschlüsse gefasst. Und damit hier kein Zweifel bleibt, die Kreditaufnahme ist sicher, es werden lediglich Überlegungen angestellt, wie man sie zur Bürgerberuhigung in kurz- und langfristige aufteilt. Unter dem Strich sind es aber dennoch fast 30 Mio. €!
Kostenintensives Projekt – Folgekosten unklar
Das Besondere ist aber auch, dass es sich hier um das letzte kostenintensive Projekt handelt, von dem die Verwaltung die Mehrheit des Rates überzeugt hat. Wir erinnern uns: das neue Bad, das Familienzentrum und das EEZ…..…jetzt nur noch die Stadtwerke, und erst anschließend die Haushaltskonsolidierung?!?
Aber, meine Damen und Herren, geht das jetzt auch noch durch, sind auch die letzten 7 Mio. € weg und der Grundstein für weitere hohe Kredite gelegt, die anschließend mit erheblichen Bürgschaften der Stadt gesichert werden müssen. Allein für den Kauf und die Netztrennung wird die Stadt für ein Kreditvolumen in Höhe von mindestens weiteren 18 Mio. € bürgen müssen.
Natürlich soll das alles beschlossen werden, ohne die genauen Folgen dieser Beschlüsse absehen zu können, denn es ist ja längst bewiesen, dass die Gutachten, die die Mehrheit des Rates von diesem Projekt überzeugt haben, alle den Gang in die Altpapierverwertung angetreten haben. Keiner kennt die Kosten für den Ausbau des Netzes, keiner kennt die Kosten für sogen. „intelligente Netze“ und wieder einmal kennen wir die echten Folgekosten nicht.
Jeder objektive Betrachter stellt sich in solch einer Situation durchaus die Frage, warum man diesen Beschluss nun nicht wenigstens bis auf den Zeitpunkt verschiebt, an dem der Rat den Haushalt beschlossen hat. Hat man etwa Angst vor der öffentlichen Diskussion, die sich dann zwangsläufig ergibt? Ich jedenfalls habe eine logische Antwort auf genau diese Frage in der letzten VA-Sitzung nicht bekommen. Ganz im Gegenteil!
Ich denke aber, die Mehrheit des Rates und die Verwaltungsführung mit dem Bürgermeister an der Spitze haben natürlich das Problem, dem Bürger zu erklären, warum zukünftig notwendige Straßenunterhaltungsmaßnahmen nicht stattfinden, Dorfplätze nicht erneuert werden, Radwege nicht ausgebaut werden ……….und diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen. Und das derzeit noch nicht an Zuschuss-kürzungen gedacht wird, mag ja sein; warten wir einmal ab, wie das in ein paar Wochen gesehen wird. Denn hier liegt die Betonung auf „derzeit“.
Da würde doch jeder sagen, dann verzichtet doch wenigstens auf die Stadtwerke, die Vorteile für den Bürger sind doch sowieso fraglich! Denn die sogen. „Leuchtturmprojekte“ wie das Familienzentrum oder das EEZ können ja (leider) nicht mehr gestoppt werden. Rettet also, was noch zu retten ist!
Ja, das würde wohl der Bürger sagen, würde er die ganze Wahrheit schon kennen.
Und weil das so ist, sollen nun Fakten geschaffen werden.
Und, Frau Hartmann-Seibt, Sie haben ja recht, wenn Sie heute öffentlich zitiert werden, dass begonnene Projekte zu Ende geführt werden müssen. Das kann aber nur für Baumaßnahmen wie das Familienzentzrum und das EEZ gelten. Und auch wenn wir heute wissen, dass diese Projekte fast ausschließlich über Kreditaufnahmen finanziert werden müssen, so würde wohl niemand einen „Baustopp“ fordern. Aber für das heute zur Beschlussfassung stehende Projekt ist es nicht zu spät, hier kann man durchaus noch einen Schlussstrich ziehen.
Und letztlich lässt man sich nicht einmal von der bestehenden Rechtsunsicherheit abschrecken. Die Presse hat ja ganz aktuell berichtet, obwohl das Problem ja lange Zeit bekannt ist.
Aber auch hier wird von der Verwaltungsführung noch immer abgewiegelt und behauptet, alles bliebe nach erneuter Ausschreibung ohnehin, wie es jetzt schon ist.
Aber, meine Damen und Herren , das sehen wir ganz anders und haben ja auch in der Vergangenheit schon darauf hingewiesen. Wir glauben nicht, dass die Stadtwerke Aurich (ob mit oder ohne Enercon) eine erneute Ausschreibung überhaupt gewinnen könnte. Deshalb würden natürlich die Karten auch komplett neu gemischt und es bliebe eben nicht wie jetzt, was die Verwaltung behauptet.
Ist Aurich cleverer als andere?
Und ich persönlich kann überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wie unkritisch hier die Ratsmehrheit den Vorschlägen der Verwaltung noch immer gegenübersteht.
- Reichen denn die Erfahrungen mit den Haushalten und den überzogenen Investitionen und den vollmundigen Versprechungen noch immer nicht?
- Ist es denn wirklich so, dass Aurich einfach cleverer ist als alle anderen?
- Erinnert sich denn wirklich niemand mehr an das Urteil von September 2013 im Kreis Leer?
- Horcht noch immer niemand auf, wenn sich einzelne Kommunen um uns herum zu Neuausschreibungen entscheiden und gleichzeitig den Gutachter wechseln, dem auch wir gefolgt sind?
- Haben die SPD-Anhänger eigentlich die Aussagen ihres Nieders. Wirtschaftsministers vergessen oder überhört, der die Zerteilung des bestehenden großen Netzes in viele kleine sehr kritisch gegenüber steht und hierdurch sogar die Versorgungssicherheit gefährdet sieht?
Für mich ist die Frage, ob Aurich einfach cleverer ist, jedenfalls spätestens beantwortet, nachdem man das Scheitern der Finanzpolitik feststellen kann, denn Aurich ist gerade nicht mehr „cleverer“, sehr wohl aber ideologischer geprägt. Das hat aber leider nicht immer etwas mit der Realität zu tun! Und vorübergehend „gut situiert“ hat eben auch nichts mit „Cleverness“ zu tun, denn das Geld haben wir ja nicht selbst erwirtschaftet, sondern profitieren hier nur vom „Können“ anderer!
Zum Wohle dieser Stadt appelliere ich daher, sowohl als Vertreterin der GFA-Fraktion als auch – und das ist neu– insbesondere auch als „Altbürgermeisterin“ , der das Wohl dieser Stadt noch immer am Herzen liegt:
1. Nehmen Sie die Finanzprobleme unserer Stadt ernst und handeln Sie heute auch danach
und
2. fassen Sie den von der Verwaltung vorgeschlagenen Beschluss nicht, sondern beschließen Sie heute die Neuausschreibung!
Der Rat möge beschließen
Ist die Verwaltung mit ihren Beratern wirklich auf dem richtigen Weg, so passiert ja nicht wirklich viel und wir haben lediglich eine zeitliche Verzögerung von 5–6 Monaten. In dieser Zeit ist aber dann auch der Haushalt fertig und alle wissen wirklich, worüber sie reden!
Und den Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke, Herrn Kötting spreche ich in diesem Zusammenhang noch extra an:
Sie sind nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke sondern von Beruf auch noch „Richter“.
Gibt Ihnen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wirklich noch immer die Sicherheit, hier in den vergangenen Monaten richtig entschieden zu haben und auch heute keinen Rechtsfehler zu begehen? Wäre es vor diesem Hintergrund nicht Ihre Aufgabe, genau diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen und eine Neuausschreibung zu fordern?
Wir jedenfalls sind von der Notwendigkeit nach wie vor überzeugt und deshalb stellen wir nun auch ganz offizielle unseren Antrag wie folgt zur Abstimmung. Unser Beschlussvorschlag lautet:
„Der Rat der Stadt Aurich beschließt die Neuausschreibung der Konzessionsvergabe für die Strom- und Gasnetze.“
Wir bitten um Zustimmung zu diesem Antrag.