Viele Millionen vom Steuerzahler
Rekommunalisierung gibt es nicht zum Nulltarif
Berlin will es, Hamburg will es – und auch Aurich möchte die Energieversorgung ihrer Bürger mit eigenen Stadtwerken rekommunalisieren. Die meisten Bürger haben dafür viel Symphatie, denn sie empfinden auch die Energieversorgung auch als kommunale Aufgabe der “Daseins-Vorsorge”. Doch “Bauchgefühl” allein ist nicht immer hilfreich. Eine solche “Rekommunalisierung” gibt es nicht zum Nulltarif.
Gleichwohl gibt es interessante Alternativen zu den Auricher Stadtwerken, die unter Umständen für Aurich weitaus zielführender sein könnten. “Ideengeber” dafür ist kein geringerer als das Bundesministerim für Wirtschaft und Technologie.
Am heutigen Montag (25.11.2014) soll Aurichs Haushalts- und Finanzausschuss der Übernahme des EWE Strom- und Gasnetzes durch die Stadtwerke Aurich zustimmen. Viele Millionen Euro wird das den Steuerzahler kosten, eine Entscheidung, die von den meisten Aurichern befürwortet wird, in der Hoffnung, davon persönlich Vorteile zu haben.
Seit Jahren ist die veröffentlichte Meinung auf die sogenannte Rekommunalisierung der Netze eingestimmt. Das gilt nicht nur für Aurich. Auch Großstädte wie Hamburg und Berlin gehen den Weg der Rekommunalisierung.
Doch in Aurich sind die Verhältnisse etwas anders als in den genannten Großstädten. Hier will der Windenergieanlagen-Hersteller Enercon bei der Rekommunalisierung der Energienetze künftig ein gewichtiges Wort mitsprechen. Enercon will sich mit 40 Prozent an der Übernahme der EWE Energienetze beteiligen. Das Unternehmen plant, Aurich vom öffentlichen Stromnetz vollständig abzukoppeln und eine komplett autonome Stromversorgung der Stadt zu realisieren.
Mit der Gründung der Auricher Stadtwerke am 18. November 2010 wurde die Voraussetzung geschaffen, um das EWE-Netz übernehmen zu können. Dabei setzten Aurichs Ratsmitglieder zunächst auf hohe und risikoarme Gewinne für die Durchleitung von Strom und Gas.
Gewinnerwartung fraglich
Damit, so meinten viele, könnte die Haushaltskasse der Stadt aufgefüllt werden. Andere wollten die erhofften Gewinne direkt an Auricher Bürger weitergeben und damit deren Energiekosten senken. Wieder andere hofften, als kommunaler Netzbetreiber die Auricher Kundschaft zum vermehrten Bezug regenerativ erzeugten Stroms bringen zu können.
Hierbei hatten die Ratsmitglieder jedoch übersehen, dass ein Netzbetreiber zur sogenannten „Netzneutralität“ verpflichtet ist. Ihm ist es nicht erlaubt dem Kunden vorzuschreiben, welchen Strom er von wem bezieht.
Auch die eher gefühlten Gewinnerwartungen erwiesen sich bald als Illusion. In einem ersten Gutachten der Firma Göken, Pollak & Partner wurden Gewinne von ca. 2 Millionen Euro jährlich prognostiziert. Ein zweites Gutachten – vom Enercon in Auftrag gegeben – dämpfte diese Hoffnung und kam auf einen voraussichtlichen Gewinn von nur noch 0,4 Millionen Euro.
Ein drittes Gutachten der Firma Fides errechnete schließlich einen Gewinn von lediglich 0,1 Millionen – sofern alles gut geht. Eine Steigerung der Erlöse im Laufe der Zeit wurde nicht ausgeschlossen – was allerdings auch für große Verluste für die Stadtwerke Aurich zu gelten hätte.
Verlockende Visionen
Obwohl die Gewinnerwartungen der Auricher Ratsmitglieder nun erheblich gedämpft waren, blieb man im Rat der Stadt Aurich bei der einmal eingeschlagenen Richtung. Einige glaubten – nicht zuletzt aufgrund einer Medienkampagne gegen die EWE – dass sich dieser Energieversorger bei den Gasverträgen mit seinen Kunden so übel verhalten habe, dass man der EWE alleine deshalb die Strom- und Gasnetze nicht weiterhin überlassen dürfe. Andere hoffen, dass die Gewinne doch höher ausfallen werden. Eine Hoffnung, die sich vor allem darauf stützte, dass Enercon sich andernfalls wohl nicht an den Stadtwerken beteiligen würde. Viele im Rat fanden die von Enercon vorgestellte Vision der autarken Energieversorgung so verlockend, dass man unbedingt mit den Stadtwerken im bisherigen Sinne weitermachen wollte.
Diese Ratsmitglieder waren den tatsächlichen Motiven der Firma Enercon schon richtig auf der Spur. Eine ganze Stadt autark mit Energie zu versorgen, ist eine uralte Vision des Firmengründers Alois Wobben. Mit Aurich kann dieses Experiment gemacht werden – und sollte es gelingen, wäre ein solcher Erfolg unternehmenstrategisch geradezu unbezahlbar.
Sinnvolle Alternativen
Dass die Vision des Auricher Windenergieanlagenherstellers quer zu den Überlegungen der Bundesregierung und der EU steht, interessierte die Kommunalpolitiker weniger. Gleiches galt für die technisch nicht unerhebliche Frage, wie eine solche “Insellösung” – abgekoppelt vom Rest der Welt – eine stabile Stromversorgung überhaupt sicherstellen kann.
Anders als Aurichs Ratsmitglieder hat sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit derartigen Fragen intensiver beschäftigt und – als Konsequenz daraus – das Projekt “Schaufenster Intelligente Energie” ins Leben gerufen.
Auch hier steht die dezentrale Versorgung einer Region mit regenerativer Energie als Ziel im Mittelpunkt. Allerdings würde eine Stadt wie Aurich nicht physikalisch, sondern nur virtuell vom übrigen Netz getrennt. Somit wäre die Energieversorgung trotz fluktuierender Energie-Erzeugung und schwankender Nachfrage sichergestellt.
Dahinter steckt natürlich auch der Gedanke, die sicher reizvolle und gewollte Vision autarker Stromversorgung nicht so weit gehen zu lassen, dass – wie im Falle Aurich – eine ganze Stadt zur energietechnischen Versuchsanordnung missbraucht werden kann.
Bedachte Bedingungen
Um an dem von der Bundesregierung geförderten Programm teilnehmen zu können, sind deshalb verschiedene Bedingungen geknüpft. Stromerzeugung, Netz, Speicherung und Verbrauch müssen technisch so ausgestattet sein und zusammenwirken, dass regional die Versorgungssicherheit und Systemstabilität auch bei zeitweise bis zu 100% Stromangebot aus erneuerbaren Energien gewährleistet sind.
Für dieses Modellprojekt sucht das Ministerium derzeit immer noch eine Region, in der Gemeinden, Städte, Landkreise, Hochschulen, Anlagenhersteller, Speicheranbieter, Netzbetreiber, IKT-Branche und EE-Branche bereit sind, zusammenzuarbeiten.
Weitere Voraussetzungen sind, dass die installierte Windleistung mindestens das Dreifache der Spitzenlast beträgt. 100.000 Haushalte müssen auf diese Weise versorgt werden können. Bei 10.000 dieser Haushalte sind zudem Messsysteme zu installieren, um genügend solide Daten zu gewinnen.
Weitere Vorbedingung ist, dass die Öffentlichkeit eingebunden wird. Das heißt, die Technik soll der Bevölkerung nachvollziehbar demonstriert werden; außerdem müssen Ausbildung und Qualifikation des Personals sichergestellt sein. Mit diesem Projekt sollen auch Normen und Standards für die Zukunft entwickelt werden.
Dies alles – so könnte man meinen – sind Vorbedingungen, die wie für Aurich geschaffen sind. Würde sich die Stadt daran beteiligen, entstünden keinerlei Nachteile und Risiken/Unsicherheiten. Das lässt sich bei der von Enercon angestrebten Insellösung jedoch nicht sagen.