Nicht mehr zu verschweigen: Rekordverschuldung im Auricher Haushalt

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Auricher Finanz­po­li­tik muss umschal­ten – Schul­den machen nicht mehr verantwortbar

von Jür­gen Wieckmann

Nein, nie­mand moch­te am Don­ner­sta­bend in der Haut der Mehr­heits­frak­tio­nen im Auricher Stadt­rat ste­cken. Die GfA-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de und eins­ti­ge Auricher Stadt­käm­me­rin Sig­rid Grie­sel leg­te in einer von allen Rats­mit­glie­dern als bemer­kens­wert ein­ge­stuf­ten Rede die unan­ge­neh­men Wahr­hei­ten zur Auricher Finanz­po­li­tik der letz­ten Jah­re dar. Dafür ist Grie­sel bekannt und auch nicht son­der­lich beliebt – sie nervt halt.

JWI C 0192Doch auf die­ser Rats­sit­zung dürf­te die „haus­halts­po­li­ti­sche Ner­ven­sä­ge“ eine inter­es­san­te Erfah­rung gemacht haben. Die in den par­la­men­ta­ri­schen Gepflo­gen­hei­ten erwar­te­ten Gegen­re­den zeich­ne­ten sich vor allem durch wahr­haft bil­li­ge Rhe­to­rik-Tricks aus – etwa der gene­rell ger­ne bemüh­te Vor­wurf, unlieb­sa­me Dar­le­gun­gen als „popu­lis­tisch“ abzuqualifizieren.

Das war stre­cken­wei­se auf dem Niveau einer rhe­to­ri­schen Vor­schul­klas­se – meis­tens ein siche­res Indiz dafür, das dem Gegen­über gera­de nichts sub­stan­zi­el­les ein­fällt über das sich lohnt ernst­haft nach­zu­den­ken oder gar in Erwä­gung zu zie­hen. Tat­sa­che war: Grie­sels Aus­füh­run­gen waren alles Mög­li­che, doch mit Sicher­heit nicht sehr populär.

Wor­um ging es?

Der Stadt Aurich droh­te de fac­to schlich­te Zah­lungs­un­fä­hig­keit. Um die­se abzu­wen­den, muss­te der Rat einen Nach­trags­haus­halt geneh­mi­gen, der den Dis­po­si­ti­on­kre­dit von der­zeit rund 20 Mil­lio­nen auf 50 Mil­lio­nen Euro erhöht. „Geneh­mi­gung“ klingt so, als ob das obers­te Organ der Auricher Kom­mu­nal­po­li­tik als Sou­ve­rän dar­über hät­te frei ent­schei­den kön­nen. Dem war natür­lich nicht so. Die Rats­mit­glie­der konn­ten nicht anders ent­schei­den. Der Spiel­raum der Poli­tik ist anbe­tracht der Schul­den­po­li­tik ver­gan­ge­ner Jah­re ten­den­zi­ell gleich Null. Das wird in den nächs­ten Jah­ren für viel Kon­flikt­stoff sorgen.

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Rich­tig ist, was der 1. Stadt­rat Hart­wig Kui­per zu erklä­ren wuss­te. Er sprach von einer nur zeit­lich begrenz­ten Durst­stre­cke – einem Liquiditätsproblem.

Ursa­che dafür ist – ver­ein­facht zusam­men­ge­fasst – Dreierlei.

1. Aurich hat Gewer­be­steu­er­ein­nah­men zurück­zu­zah­len – zuzüg­lich Zinsen

2. Die Gewer­be­steu­er-Ein­nah­men haben gene­rell eine rück­läu­fi­ge Tendenz

3. Es flat­tern die Rech­nun­gen ins Haus, die sich aus diver­sen Pres­ti­ge-Pro­jek­ten der Stadt ergeben.

Sicher – das The­ma über Gebühr medi­al zu dra­ma­ti­sie­ren, wäre nicht seri­ös. Gleich­wohl war und ist dies ein ers­ter deut­li­cher Schuss vor den Bug der Auricher Finanz­po­li­tik, die man im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes als „gemein­ge­fähr­lich“ betrach­ten kann. Wei­te­re SChüs­se wer­den zwangs­läu­fig noch folgen.

Blücherkaserne: Was sich die Bürger hier wünschten, dürfte kaum finanzierbar sein

Blü­cher­ka­ser­ne: Was sich die Bür­ger hier wünsch­ten, dürf­te kaum finan­zier­bar sein

Die finan­zi­el­le Selbst­si­cher­heit der Stadt – durch­aus nach­voll­zieh­bar – hat lei­der einer pro­gram­ma­ti­schen Schul­den­po­li­tik Tür und Tor geöff­net. Leicht­fer­ti­ge Grund­hal­tung: "Wir kön­nen es uns doch leis­ten". Dies wird nun einem schmerz­haf­ten Rea­li­täts­ab­gleich unter­wor­fen. Spä­tes­tens 2016 wird das dann auch für die Auricher Bür­ger offen­sicht­lich und kon­kret spür­bar werden.

Den Aurichern – das ist hin­läng­lich bekannt – ist die hie­si­ge Finanz­po­li­tik schon seit gerau­mer Zeit ten­den­zi­ell unheim­lich. Das lässt sich an tages­ak­tu­el­len Auf­re­gern fest machen – etwa über eine zu teu­er gera­te­ne Park­bank am Georgs­wall für run­de 1,4 Mil­lio­nen Euro oder ent­spre­chen­de Ärger­nis­se über ein Luxus­klo am Hafen für über 300.000 Euro. Meis­tens geschlos­sen, um das Edel-Klo­sett vor Van­da­lis­mus zu bewahren.

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Absurd: Das teu­ers­te Klo Nie­der­sach­sens. Rund 350.000 Euro hat das Auricher Gebäu­de den Steu­er­zah­ler gekos­tet. Aus Furcht vor Van­da­lis­mus meis­tens geschlossen.

Doch der­ar­ti­ge Absur­di­tä­ten sind – rein haus­halts­po­li­tisch bewer­tet – Klein­kram. Das zen­tra­le Pro­blem sind die Fol­ge­kos­ten jener für Aurich zwei­fels­frei über­di­men­sio­nier­ten Pro­jek­te ala Wohl­fühl­bad oder EEZ. Wei­te­res steht noch ins Haus. Das zu stop­pen ist so gut wie unmöglich.

Grie­sel ver­wies in dem Zusam­men­hang auf die Dar­le­gun­gen der Auricher Ver­wal­tung. Wer die Ver­wal­tungs­vor­la­ge zur finan­zi­el­len Lage der Stadt vom 21.11.2013 gele­sen und ver­stan­den hat [das darf man von unse­ren Man­dats­trä­gern unab­hän­gig vom Par­tei­buch wohl erwar­ten], wird gewusst haben was die Glo­cke geschla­gen hat. Wört­lich heißt es darin:

Dar­über hin­aus erwar­tet die Stadt Aurich erheb­li­che Fol­ge­kos­ten aus den erfolg­ten bzw. in Pla­nung befind­li­chen Inves­ti­tio­nen (ins­be­son­de­re: Fami­li­en- und Wohl­fühl­bad, Energie‑, Bil­dungs- und Erleb­nis­zen­trum (EEZ), Fami­li­en­zen­trum, Feu­er­weh­ren und Krip­pen­aus­bau), da die­se Ein­rich­tun­gen dau­er­haft nicht kos­ten­de­ckend betrie­ben wer­den können.“

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Sig­rid Grie­sel: Haus­halts­po­li­tisch schwe­re Kost für Aurichs Ratsmitglieder

Grie­sel konn­te sich die Ver­mu­tung nicht ver­knei­fen, dass die Stadt­ver­wal­tung wohl von der GfA abge­schrie­ben habe. Das anzu­neh­men ist leicht ver­we­gen. Man darf unter­stel­len, das es in der Auricher Stadt­ver­wal­tung durch­aus finanz­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz gibt. Doch man hat­te auf die­ser Rats­sit­zung den Ein­druck, dass Kom­pe­tenz und Durch­blick eine gene­rell ver­werf­li­che Fähig­keit sein könn­te und des­halb kon­se­quent zu igno­rie­ren ist. Wie anders lässt es sich sonst erklä­ren, das man deut­li­che War­nun­gen – über meh­re­re Jah­re fast gebets­müh­len­ar­tig dar­ge­bo­ten – schlicht­weg nicht zur Kennt­nis neh­men wollte.

Zu Risi­ken und Neben­wir­kun­gen fra­gen sie ihren Psychologen.

Hätte Haushalt auch ablehnen können: Aurichs Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst

Hät­te Haus­halt auch ableh­nen kön­nen: Aurichs Bür­ger­meis­ter Heinz-Wer­ner Windhorst

Der Ver­wal­tung – rich­ti­ger gesagt, der poli­tisch ver­ant­wort­li­chen Ver­wal­tungs­spit­ze konn­te Grie­sel den Vor­wurf nicht erspa­ren, die rich­ti­gen Erkennt­nis­se nicht deut­lich genug ver­mit­telt zu haben. Hät­te der amtie­ren­de Bür­ger­meis­ter ent­spre­chend der Pro­gno­sen sei­ner eige­nen Ver­wal­tung den Haus­halts­ent­wurf abge­lehnt, wäre das sicher ein poli­ti­scher Eklat gewor­den – ein Erd­be­ben, wel­ches für viel Unmut gesorgt hät­te und der gute Ruf des Bür­ger­meis­ters der Her­zen hät­te Scha­den genom­men – die poli­ti­sche Har­mo­nie­leh­re emp­find­lich gestört wer­den können.

Die aller­dings bewegt sich schon seit gerau­mer Zeit auf höchst dün­nem Eis. Wer genau hin­hö­ren konn­te, dem blieb nicht ver­bor­gen, das alle Rats­mit­glie­der ins­ge­heim den Aus­füh­run­gen der GfA-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den fol­gen konn­ten. Poli­ti­sche Beob­ach­ter konn­ten fast „kol­le­gia­les Mit­leid“ für die Red­ner der ande­ren Frak­tio­nen emp­fin­den, die nun mal genö­tigt waren, der Grie­sel-Rede auf ver­gleich­ba­rer Augen­hö­he ent­geg­nen zu müs­sen. Beson­ders schwer schien das jenen zu fal­len, die sehr genau ver­stan­den hat­ten, was sie gera­de hörten.

So blieb man­chem wirk­lich nichts ande­res übrig, als Grie­sel vor zu hal­ten das öffent­li­che Forum „Rats­sit­zung“ zu benut­zen, um ihre Dar­le­gun­gen auch öffent­lich­keits­wirk­sam zu prä­sen­tie­ren. Man­cher ver­stieg sich gar in der Annah­me, Grie­sel habe nach­ge­ra­de mys­ti­sche Fähig­kei­ten der Hell­se­he­rei und prä­sen­tie­re sich nun als Bes­ser­wis­se­rin. Das alles habe man nicht wirk­lich vor­aus­se­hen können.

JWI C 1639Das nun ist – sogar amt­lich doku­men­tiert – nach­weis­lich falsch – bei allem Ver­ständ­nis dafür, das mit­tel- bis lang­fris­tig bedach­te Haus­halts­po­li­tik eine Welt für sich ist, die zu ver­ste­hen einer nicht zu unter­schät­zen­de Anstren­gung bedarf – immer wie­der eine Rech­nung mit X‑Unbekannten.

Doch aus gutem Grund ist die öffent­li­che Erör­te­rung öffent­li­cher Finan­zen eine demo­kra­ti­sche Gepflo­gen­heit. Grie­sel hat als GfA-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de und der hin­ter die­ser Frak­ti­on ste­hen­den – sicher noch sehr klei­nen Wäh­ler­ge­mein­schaft – letzt­lich nichts ande­res gemacht, als sich an die Gepflo­gen­hei­ten zu halten.

Wirk­lich bemer­kens­wert war eine Stim­me aus der CDU-Frak­ti­on – deut­lich als per­sön­li­che Stel­lung­nah­me gekenn­zeich­net. Da hat ein Rat­mit­glied doch offen erklärt, auch sie habe etli­chen Pro­jek­ten in Aurich zuge­stimmt – bis­wei­len auch mit Bauch­schmer­zen. Sie sei mit­ver­ant­wort­lich dafür – es blei­be ihr des­halb nichts ande­res übrig, als dem Nach­trags­haus­halt zuzu­stim­men. In Zukunft sei gebo­ten genau­er zu prüfen.

Die­se Hal­tung ver­dient Respekt und es wäre zu wün­schen, das auch im Rat der Stadt Aurich die­se Cou­ra­ge Schu­le macht. Unab­hän­gig vom Par­tei­buch dürf­te jedem im Rat klar gewor­den sein, the Par­ty is over.

Kostenfaktor Wohlfühlbad. Für Aurichs Finanzpolitiker ist der Spaß schon lange vorbei

Kos­ten­fak­tor Wohl­fühl­bad. Für Aurichs Finanz­po­li­ti­ker ist der Spaß schon lan­ge vorbei

Und das wird bedeu­ten: alle, die sich künf­tig in der Kom­mu­nal­po­li­tik enga­gie­ren, haben har­te Zei­ten vor sich – sie wer­den sich vor die Bür­ger stel­len und ein unpo­pu­lä­res „Streich­kon­zert“ ver­tre­ten müs­sen. Der eige­nen Wäh­ler­kli­en­tel oft auch all­ge­mein wün­schens­wer­te Vor­ha­ben weg­strei­chen zu müs­sen, ist jeden­falls kei­ne ver­gnü­gungs­steu­er­pflich­ti­ge Aufgabe.

Anbe­tracht einer trotz nach wie vor im Ver­gleich zu ande­ren Kom­mu­nen durch­aus rei­chen Stadt Aurich ist ein Zitat aus Grie­sels Rede wert ins Stamm­buch der Auricher Kom­mu­nal­po­li­tik geschrie­ben zu werden:

Eine Stadt mit wenig Geld sozi­al, gerecht und nach­hal­tig zu gestal­ten ist die wah­re Kunst der poli­ti­schen Arbeit von Rat und Verwaltung.

Hof­fen wir Bür­ger, dass die­ser ers­te finanz­po­li­ti­sche Schuss vor den Bug dazu bei­tra­gen wird, das die­se Kunst­fer­tig­keit auch in der hie­si­gen Kom­mu­nal­po­li­tik wie­der Ein­zug erhält. Ein Blick in die Auricher Geschichts­bü­cher zeigt doch, das die Stadt als noch ver­arm­te Kom­mu­ne durch­aus in der Lage war, mit sehr gerin­gen Mit­teln intel­li­gen­te und vor­aus­schau­en­de Poli­tik zu betreiben.

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